Akkus laden zur Revolution
Montag, 5. März 2018, 9:45 Uhr. Am Hauptsitz des internationalen Filtrationsexperten MANN+HUMMEL in Ludwigsburg wartet Dr. Michael Harenbrock, Senior Expert E-Mobility, auf sein Taxi. Er ist auf dem Weg zu einer Tagung, die in den darauffolgenden Tagen in Berlin stattfindet. Ein schwarzes Fahrzeug fährt vor das Gebäude. Das gelbe Logo des Taxi-Unternehmens erstreckt sich über die beiden Türen. Christoph Lehmler, seit sieben Jahren Taxifahrer in Ludwigsburg, begrüßt Harenbrock freundlich.

Christoph Lehmler: Schönen guten Morgen! Wo darf es denn hin gehen?
Michael Harenbrock: Einmal zum Flughafen bitte.
Christoph Lehmler: Fliegen Sie zu einem Meeting?
Michael Harenbrock: Ja, zu einer Konferenz nach Berlin.
Christoph Lehmler: Zu welchem Thema, wenn ich fragen darf?
Michael Harenbrock: Elektromobilität.
Lehmler fährt auf die Autobahn A81 Richtung Stuttgart.
Christoph Lehmler: Ach, das ist ja spannend. Das Thema ist seit Dieselgate ja regelrecht explodiert. Die Diskussionen hören gar nicht mehr auf, Emissionen, Fahrverbote, alternative Antriebe, all das…
Michael Harenbrock: Haben Sie das Gefühl, dass diese Diskussionen zu den Fahrverboten auch zu Verunsicherung bei den Taxiunternehmen führen?
Christoph Lehmler: Verunsicherung habe ich jetzt weniger wahrgenommen. Ich selbst fahre ja ein Hybridauto und generell sieht man gerade in Großstädten wie Stuttgart oder München immer mehr Hybridfahrzeuge als Taxis. Klar, Deutschland ist im Bereich Elektromobilität noch nicht so weit wie zum Beispiel die Niederlande. Wenn Sie nach Amsterdam fahren, gibt es am Flughafen ja fast nur Teslas als Taxis. Oder Norwegen – die treiben das einfach viel schneller voran als wir.
Michael Harenbrock: Das stimmt, die Regierung dort fördert das massiv.
Christoph Lehmler: Waren Sie schon mal dort?
Michael Harenbrock: In Norwegen?
Christoph Lehmler: Ja.
Michael Harenbrock: Nein, so weit in den Norden hat es mich noch nicht verschlagen. Ich bin demnächst für zwei Wochen in Asien unterwegs – erst Japan, dann China, dann Südkorea.
Christoph Lehmler: China will ja auch eine Quote für Automobilhersteller einführen, sodass sie einen bestimmten Prozentsatz an Elektroautos produzieren und verkaufen…
Michael Harenbrock: Ja, es ist viel in Bewegung. MANN+HUMMEL hat mehrere Standorte in China und die Kollegen dort sagen auch, wie wichtig es ist, dass wir das Thema Elektromobilität für die chinesischen Kunden angehen. Dort existiert gerade ein Rieseninteresse und es gibt viel Bedarf, dass wir auf diesem Gebiet noch mehr machen.
Christoph Lehmler: Was meinen Sie genau?
Michael Harenbrock: Alles Mögliche – Filtration für Hochvoltbatterien zum Beispiel. Es gibt einige Themen, die wir in Europa schon in Serie haben, und die Kollegen in Asien möchten diese Produkte auch anbieten können. Generell spürt man, dass aufgrund der ganzen Medienberichterstattung und Regularien und Gesetze immer mehr Bedarf herrscht.
Christoph Lehmler: Da entsteht für mich ehrlich gesagt manchmal der Eindruck einer Panikmache. Die Diesel werden verdammt und E-Autos geliebt…
Michael Harenbrock: Ja, die Debatte hat sich durch die Geschehnisse in der Indus-trie natürlich verschärft.
Christoph Lehmler: …und dann fangen sie immer an mit Effizienzberechnungen und Ökobilanzen und so weiter. Die Aussagen widersprechen sich ja auch häufig.
Michael Harenbrock: Es gibt wirklich unglaublich viele verschiedene Studien, in denen Sie alle möglichen Aussagen finden. Sie können sich im Grunde die Studie raussuchen, die am besten zu Ihrer Meinung passt, und dann daraus die Studie zitieren. Oft werden Äpfel mit Birnen verglichen und man zieht dann die Rückschlüsse, die am besten zu einer bestimmten Meinung passen. So etwas ärgert mich.
Christoph Lehmler: Am Ende geht es schließlich um die Gesamtenergiebilanz, aber die wird oft außer Acht gelassen.

Michael Harenbrock: Das stimmt. Und das bezieht sich ja nicht nur auf die Produktion. Auch Recycling gehört mit dazu. Irgendetwas muss man auf jeden Fall tun, sonst wird man dem Klimawandel nicht mehr Herr. Und was es auch ist: Die bessere Lösung möge gewinnen. Es gäbe sicherlich auch weniger Emissionen, wenn der Verkehr flüssiger wäre oder man weniger Baustellen hätte…
Christoph Lehmler: …oder weniger Tempolimits… (lacht).
Kurz hinter dem Leonberger Engelbergtunnel staut sich der Verkehr. Das Taxi kommt nur langsam voran. Verkehrsschilder weisen bereits den Weg: Stuttgart-Flughafen/Messe.
Christoph Lehmler: Was halten Sie eigentlich von anderen Kraftstoffen – Erdgas, Flüssiggas oder so? Die haben weniger Emissionen als andere Brennstoffe.
Michael Harenbrock: Für den Schwerverkehr ist das sicher eine interessante Lösung. Lkw können nicht batteriebetrieben fahren, weil man viel zu große Batterien bräuchte. Wenn man die mit Gas statt Diesel betreibt, hat man schon deutlich weniger Emissionen und auch weniger Kraftstoffverbrauch. Das könnte ich mir gut vorstellen.
Christoph Lehmler: Und was ist mit der Brennstoffzelle?
Michael Harenbrock: Ich beschäftige mich ja viel mit diesen Themen und muss ehrlich sagen: Wenn man in den Markt hineinhört, ist die Brennstoffzelle eher bei größeren, schwereren Fahrzeugen sinnvoll, die lange Strecken fahren. Für jeden Kilometer mehr an rein elektrischer Reichweite müsste man mehr Batteriezellen einplanen. Bei einem schweren Auto ist das ökonomisch nicht umsetzbar. Dort ist die Brennstoffzelle sicher eine gute Möglichkeit.
Christoph Lehmler: Bei der Brennstoffzellentechnik sollte man sich ja auch fragen, wie man den Wasserstoff am sinnvollsten herstellt. Wasserstoff kann ja direkt in den Tankstellen hergestellt werden. Das ist natürlich nicht so wirtschaftlich, aber der Transport von Wasser wäre unkompliziert. Oder man stellt ihn zentral her. Dann wäre aber der Transport viel schwieriger.
Michael Harenbrock: Ja, der Wasserstoff muss stark gekühlt oder komprimiert werden, man braucht spezielle Tanks. Und die CO2-Emissionen, um den Wasserstoff an die Tankstellen zu bringen, sind natürlich auch zu beachten. Es wird ja viel über synthetische Kraftstoffe gesprochen, zum Beispiel CO2 aus der Luft in Kombination mit Wasserstoff. Der Vorteil wäre, dass man die bestehenden Tankstellen weiterverwenden könnte und man auch an den Motoren kaum etwas ändern müsste. Für einen Elektromotor müssen die Hersteller deutlich mehr ändern.
Christoph Lehmler: Ich habe manchmal das Gefühl, dass die Automobilhersteller selbst nicht genau wissen, welche Strategie sie verfolgen sollen.
Michael Harenbrock: Naja, es ist noch nicht klar, welches Konzept sich am Ende durchsetzt. Das ist eine große Herausforderung. Es gibt einfach keine Einzellösung für den Antrieb der Zukunft. Daher verfolgen die Hersteller jeweils unterschiedliche Strategien. Auch, weil es immer mit finanziellen Risiken verbunden ist, parallel verschiedene Lösungen zu entwickeln. Wir werden über viele Jahre eine Mischung aus verschiedenen Antriebskonzepten haben. Wir werden auch in Zukunft neue Produkte für den Verbrennungsmotor brauchen. Am Ende entscheidet der Kunde, was für ihn attraktiv ist und welche Mehrkosten er gegebenenfalls bereit ist, zu zahlen. Aber klar, für die Unternehmen macht es das ein bisschen komplexer.
Christoph Lehmler: Wie macht Ihr Unternehmen das?
Michael Harenbrock: Wir schauen uns verschiedene Felder an und steigen da ein, wo wir auch unsere Kompetenz einbringen können. Ich finde, das ist ein sehr vernünftiger Ansatz. MANN+HUMMEL arbeitet auch nicht an einem bestimmten Antriebsstrang, sondern an der Idee des „Clean Transport“. Wir entwickeln Komponenten für den Elektroantrieb, aber auch Bremsstaubfilter oder aber Lösungen, um den Schmutz, der bereits in der Luft ist, zu filtern. Die Emissionen kommen schließlich nicht alle aus dem Antrieb, sondern auch von Straßenabrieb, Bremsstaub und so weiter. Da sind Wirtschaft und Politik ebenfalls gefordert.
Christoph Lehmler: Förderprogramme für E-Mobility gibt es schon, aber ob die immer erfolgreich sind?
Michael Harenbrock: Egal bei welchem Thema – es dauert immer Jahre, bis solche Entwicklungen flächendeckend angenommen werden, wenn überhaupt. Dafür muss es von vielen Seiten gepusht werden. Diese Förderprogramme können ja nur dazu dienen, die erste Anschubphase zu überbrücken. Dann werden so viele Fahrzeuge produziert, dass die Kostenvorteile aus der Groß-serienfertigung kommen und die Autos für jedermann finanzierbar machen. Es kann nicht gewünscht sein, dass permanent Fördermittel benötigt werden.
Christoph Lehmler: Sonst beschweren sich die Leute, dass dafür öffentliche Gelder investiert werden. Gemeckert wird ja immer (lacht).
Michael Harenbrock: Da haben Sie recht.
Lehmler nimmt die Ausfahrt 53a: Stuttgart-Flughafen/Messe. Man kann einen ersten Blick auf die Startbahn erhaschen.
Christoph Lehmler: So, wir sind gleich da. Es ist wieder viel los hier. Aber das ist ja normal in Stuttgart.
Michael Harenbrock: Um die Messe herum sowieso. Wir hatten hier im Oktober auch eine große E-Mobility-Messe, da hatten wir ein paar unserer Produkte vorgestellt. Das war schon toll – aber der Verkehr! Katastrophal...
Christoph Lehmler: Das glaube ich.
Lehmler und Harenbrock erreichen den Flughafen. Vor der Abflughalle von Terminal 3 verabschieden sie sich.
Christoph Lehmler: So, da sind wir. Dann wünsche ich Ihnen mal viel Erfolg auf der Konferenz. Und guten Flug!
Michael Harenbrock: Vielen Dank. Einen schönen Tag noch!
Christoph Lehmler: Danke!

Dr. Michael Harenbrock
Senior Expert Electric Mobility bei MANN+HUMMEL, promovierter Diplom-Chemiker, ist seit Dezember 1998 im Unternehmen tätig. Er identifiziert Technologietrends, analysiert die Marktentwicklung und leitet daraus neue Innovationsprojekte für elektrifizierte Antriebe sowie Brennstoffzellensysteme ab.

Christoph Lehmler
Christoph Lehmler arbeitet seit 2011 als Taxifahrer bei Taxi Bleile in Ludwigsburg. Zuvor war der gebürtige Rheinländer als Datenerfasser für ein Bankdienstleistungsunternehmen tätig. Neben dem Thema Elektromobilität interessiert er sich für Musik, Sport, Menschen und Autos.